Der versteckte Steuerschatz
Die meisten Unternehmenslenker in der Landwirtschaft verbinden Steuern mit etwas Unangenehmen, bedeutet es doch den Abfluss von Liquidität aus dem Unternehmen selbst und aus dem persönlichen Bereich der Inhaber. Als Damoklesschwert schwebt auch stets die Aufdeckung der „stillen Reserven“ über vielen Aktivitäten eines Landwirtschaftsbetriebes. Hier kann ein unüberlegter Schritt bei einer scheinbar kleinen Umstrukturierung dazu führen, dass eine oft existenzbedrohende Steuerlast entsteht.
Im Folgenden soll dargestellt werden, dass das deutsche Steuerrecht auch positive Überraschungen bietet, die erfahrungsgemäß in der Praxis – selbst bei den entsprechenden Steuer-, Rechts- und Betriebsberatern – kaum bekannt sind. Es lohnt sicher, sich damit zu beschäftigen.
Das steuerliche Konstrukt, das wir uns dazu ansehen werden, trägt den etwas sperrigen Namen „steuerliches Einlagekonto“. Es ist weder ein Bankkonto, noch ist es in der Bilanz oder an einer anderen Stelle des Jahresabschlusses eines Unternehmens zu finden. Das sorgt für den versteckten Charakter dieses Konstruktes. Allgemein stößt besonders der Jahresabschluss eines Betriebes bei der Unternehmensleitung und entsprechenden anderen Adressaten (z. B. Banken, Beratern, Händlern) auf Interesse. Auch bei Unternehmensverkäufen, wie sie aktuell in der Landwirtschaft der neuen Bundesländern verstärkt zu beobachten sind, ist der Jahresabschluss Dreh- und Angelpunkt und wichtige Grundlage der Verkaufsverhandlungen. Das steuerliche Einlagekonto findet hier erfahrungsgemäß kaum Beachtung – völlig zu Unrecht, wie wir noch sehen werden.
Ganz wichtig: Das steuerliche Einlagekonto gibt es nur bei Betrieben in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft (GmbH und Aktiengesellschaft) und bei Genossenschaften. Für Einzellandwirte und Personengesellschaften (GbR, OHG, KG) gibt es ein solches Konstrukt nicht.
Wo finden wir denn nun diesen Steuerschatz, wenn er nicht aus dem Jahresabschluss hervorgeht? Wir finden ihn in einem eigenen Steuerbescheid. Dieser wird oft zusammen mit dem regulären Körperschaftsteuerbescheid an die Betriebe verschickt. Letzterer ist naturgemäß meist sehr interessant für die Betriebe, da das Finanzamt in diesem die Steuer auf den Gewinn festlegt und sich dann zusammen mit dem Gewerbesteuerbescheid die gesamte Ertragsteuerbelastung des Betriebes ergibt. Der Bescheid über das steuerliche Einlagekonto ist dem Körperschaftsteuerbescheid meist beigefügt und wird in der Praxis abgeheftet, ohne dass der Inhalt weitere Beachtung findet. Dieser Bescheid enthält auch nie eine Zahllast und der Inhalt ist für den Steuerlaien (aber auch für den einen oder anderen Berater) völlig unverständlich. Außerdem verändern sich die Werte Jahr für Jahr in dem Bescheid in der Regel nicht, sodass das Interesse auch hierdurch getrübt wird.
Die Erfahrung zeigt, dass sehr viele landwirtschaftliche Betriebe in den neuen Bundesländern, die als GmbH, AG oder Genossenschaft geführt werden, sehr hohe steuerliche Einlagekonten haben. Nicht selten sind Beträge im ein- oder zweistelligen Millionenbereich zu finden. So richtig kann heute kaum noch jemand sagen, wie die hohen Beträge zustande gekommen sind. In den meisten Fällen stammen sie aus der Umwandlung ehemals sozialistischer LPG in die heutigen Rechtsformen. Es ist aber völlig irrelevant, warum ein Betrieb ein sehr hohes steuerliches Einlagekonto hat. Wie wir gesehen haben, wird die Höhe des steuerlichen Einlagekontos durch das Finanzamt mittels eines Bescheides festgestellt. Damit sind die historischen Werte „fest“ und wir können die Steuervorteile guten Gewissens nutzen.
Was sind denn nun die Steuervorteile? Zunächst müssen wir festhalten, dass die Gesellschafter einer GmbH oder Aktiengesellschaften bzw. die Mitglieder einer Genossenschaft im laufenden Geschäft nur dann an Teile des Vermögens des Betriebes kommen, wenn sie eine Gewinnausschüttung beschließen. Das muss nicht jedes Jahr sein, es kann aber auch jedes Jahr sein oder nie – das beschließen die Gesellschafter in der entsprechenden Versammlung völlig selbstständig.
Bei einem entsprechenden Ausschüttungsbeschluss fällt bei den Gesellschaftern persönlich die sogenannte Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 % an. Diese wird vom Unternehmen gar nicht erst an den Gesellschafter ausgezahlt, sondern wird gleich an das Finanzamt abgeführt. Somit ist es ein ähnliches System wie bei der Lohnsteuer. Wenn also die fiktive „Agrargenossenschaft Elberind e. G.“ beschließt, dass jeder Genosse eine Gewinnausschüttung von 70.000 EUR erhalten soll, kommen beim einzelnen Genossen nur 52.500 EUR an, da 25 % (17.500 EUR) für diesen Genossen an das Finanzamt überwiesen wurden. Damit ist die Steuer des Genossen auf die Ausschüttung abgegolten. Den „Soli“ oder das optionale Teileinkünfteverfahren berücksichtigten wir hier aus Vereinfachungsgründen nicht.
Wie kommt nun das steuerliche Einlagekonto ins Spiel? Normalerweise erhöht sich das steuerliche Einlagekonto, wenn ein Gesellschafter Geld in eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft einzahlt, an der er beteiligt ist, ohne dass es einen Gegenwert gibt – also z. B. nicht in Form eines Darlehens oder für Anteile an der Gesellschaft. Der Gesetzgeber sagt, dass er dieses (bereits versteuerte) Geld später auch wieder steuerfrei aus der Gesellschaft herausnehmen darf. In der Bilanz finden wir solche Zahlungen z. B. in der sogenannten Kapitalrücklage auf der Passivseite. Damit das Finanzamt weiß, wie hoch der Betrag ist, den der Gesellschafter später steuerfrei entnehmen darf, wird eben dieser Betrag durch einen Bescheid festgestellt. Der Gesamtbetrag der steuerfreien Entnahmemöglichkeit ist eben jenes, nun bereits mehrfach erwähntes, steuerliches Einlagekonto. Je höher das Einlagekonto ist, desto mehr Geld können sich die Gesellschafter einer GmbH, Aktiengesellschaft oder Genossenschaft steuerfrei ausschütten. Die 25-%-ige Steuerbelastung kommt nicht zur Anwendung.
Wir hatten bereits gesehen, dass die Agrarunternehmen durch die Umwandlung Anfang der 1990er Jahre gigantische steuerliche Einlagekonten aufweisen. Unter ihrer Nase haben viele Gesellschafter und Genossen einen Steuerschatz, ohne es oft zu wissen. Es könnten in vielen Fällen theoretisch Millionenbeträge steuerfrei ausgeschüttet werden (Liquidität vorausgesetzt). Im Beispiel unser Agrargenossenschaft Elberind e. G. kämen bei jedem Genossen die vollen 70.000 EUR an und die 17.500 EUR ans Finanzamt für jeden könnte man sich sparen. Es lohnt sich also durchaus, den Bescheid zum steuerlichen Einlagekonto nicht nur abzuheften, sondern sich diesen genau anzusehen.
Wie so oft steckt der Teufel jedoch auch hier im Detail. Das Gesetz sagt, dass die Gesellschafter nur dann aus dem steuerlichen Einlagekonto (steuerfrei) ausschütten können, wenn es keinen sonstigen ausschüttbaren Gewinn gibt. Letzterer hat stets Vorrang. Die Agrargenossenschaft Elberind e. G. hat beispielsweise im Eigenkapital noch eine Gewinnrücklage in Höhe von 200.000 EUR stehen. Die Genossenschaft hat 8 Mitglieder und beschließt nun wieder eine Ausschüttung an jeden Genossen von 70.000 EUR, also von 560.000 EUR insgesamt.
Bei der Ausschüttung werden „zuerst“ die 200.000 Gewinnrücklage ausgeschüttet. Diese werden wieder mit 25% Steuer bei jedem Gesellschafter belegt. Damit ist die Gewinnrücklage aufgebraucht und der ausschüttbare Gewinn ist 0. Der Rest der Gesamtausschüttung (360.000 EUR) kommt nun aus dem steuerlichen Einlagekonto und ist für den Gesellschafter steuerfrei. Das steuerliche Einlagekonto vermindert sich entsprechend. In unserem Beispiel zahlt der der einzelne Gesellschafter also auf seinen Anteil an den 200.000 EUR (25.000 EUR, da 200.000 EUR durch 8) 25% Steuer (6.250 EUR). Der Rest der Ausschüttung (45.000 EUR, da 360.000 EUR durch 8) ist für ihn aber steuerfrei.
In der Praxis gibt es noch Baustellen und Kniffe. Es ist z. B. zu beachten, dass bei Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto, die die jeweiligen Anschaffungskosten des Gesellschafters übersteigen, ein Veräußerungserlös hinsichtlich der Anteile entsteht.